Angesichts der seit Monaten anhaltenden, öffentlichen Diskussion über den Zustand des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) und seiner zukünftigen Ausrichtung richtet die Präsidentenkonferenz des Dachverbands der wehrpolitischen Vereine - in Ergänzung des Positionspapiers vom Juli 2017 - folgenden
Offener Brief / Appell
an den Bundeskanzler und den Vizekanzler
der Republik Österreich
Wir haben als Soldaten Treue zu den Gesetzen gelobt. Deshalb verwehren wir uns gegen die Infragestellung der verfassungsmäßigen (Art. 79 BV-G) und einfachgesetzlichen Aufgaben (§ 2 WG) des ÖBH durch die Bundesregierung. Diese Aufgaben können nur mit einer Verfassungsmehrheit im Nationalrat geändert werden. Die Aufgabe der Regierung besteht im Vollzug der Gesetze (Exekutive). Ein Regierungsprogramm darf daher die Vorgaben der Legislative nicht unterlaufen.
Mit dem Ende des Kalten Krieges und nach Beruhigung des Bürgerkrieges am Balkan wurde Österreichs Sicherheitspolitik mit der „Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin 2001“ in das 21. Jahrhundert übergeleitet. Dieses Grundsatzdokument wurde als „Österreichische Sicherheitsstrategie“ 2013 nochmals aktualisiert. Als Entschließung des Nationalrates bestimmt sie die Grundsätze, nach denen die Bundesregierung ihre Sicherheitspolitik auszurichten hat. Von diesen Grundsätzen wurde seit damals abgeleitet: die „Teilstrategie Verteidigungspolitik“ (2014), das „Militärstrategische Konzept“ (2017), das Lagebild 2018 („Trends & Konfliktbild 2030“ / “Das Bedrohungsbild 2030“) und der Zustandsbericht des ÖBH 2019 („Unser Heer 2030“).
Populistische Aussagen über die Unwahrscheinlichkeit von Panzerschlachten im Marchfeld oder im Waldviertel bezeugen lediglich, dass die Grundlagen der Sicherheitspolitik der Regierungsspitze unbekannt sind. Die angeführten Dokumente der Verteidigungspolitik begründen vier operative Einsatzverfahren (Abwehroperation, Schutzoperation, Luftraumsicherungsoperation, Evakuierungsoperation), die sich aus der aktuellen Bedrohungslage ableiten.
Es besteht kein Mangel an Analysen und erarbeiteten Lösungskonzepten. Es mangelt jedoch am politischen Willen, Österreich auf die erkannten Herausforderungen vorzubereiten und die dafür erforderlichen Geldmittel - zumindest 1 % des BIP - bereit zu stellen.
Das zuletzt - nach einer Aussprache mit dem Bundespräsidenten - von der Verteidigungsministerin vorgetragene Bekenntnis zur Militärischen Landesverteidigung als Kernaufgabe des ÖBH entpuppt sich rasch als Lippenbekenntnis, wenn zugleich jene Waffengattungen und Systeme, die dafür (also die vier zuvor erwähnten Operationen) erforderlich sind, reduziert und/oder ersatzlos „ausgephast“ werden.
Bei früheren Reformschritten - dieser Begriff wird oft als Synonym für Sparvorgaben und Fähigkeitsverlust verwendet - wurden einige Waffensysteme (wie z.B. Panzer, Artillerie, Panzer- und Fliegerabwehr) bereits auf einen „Rekonstruktionskern“ geschrumpft. Damit ist klar, dass eine weitere Reduktion eine spätere Rekonstruktion unmöglich macht und einer verfassungswidrigen Abschaffung entspricht.
Ohne „Schwere Waffen“ ist ein verfassungskonformer Zustand des ÖBH unmöglich. Abwehr- oder Schutzoperationen könnten derzeit nicht oder nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden. Die Luftraumüberwachung ist auf 10 von 24 Stunden beschränkt. Der Schutz der Bevölkerung ist daher nicht sichergestellt.