Die Abrüstungspläne in Österreich nehmen die Schweiz militärisch in die Pflicht
Das österreichische Bundesheer soll bloss noch auf die wahrscheinlichsten Einsätze ausgerichtet werden. Offiziere und Opposition proben den Aufstand gegen einen weiteren Abbau. Im östlichen Alpenraum droht ein sicherheitspolitisches Vakuum.
Georg Häsler Sansano, Bern10.08.2020, 05.30 Uhr
Die eidgenössisch-habsburgische Erbfeindschaft ist längst überwunden. Ein Angriff aus Österreich ist ebenso wenig zu erwarten wie einer von einem andern Nachbarland. Darin sind sich in der Schweiz Gegner und Befürworter der militärischen Landesverteidigung ausnahmsweise einig.
Die offiziellen Bedrohungsanalysen der einzelnen Länder im Alpenraum sind tatsächlich weitgehend deckungsgleich. Naturkatastrophen als Folgen des Klimawandels, unkontrollierte Migrationsströme oder Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen wie die Lüftungssysteme von Alpentunnels stehen im Vordergrund. Ein gewaltsamer Konflikt oder gar ein Krieg scheinen unvorstellbar zu sein.
Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass Österreich über ähnliche Themen der Sicherheitspolitik diskutiert wie die Schweiz. Inhalt und Argumente gleichen sich. Die Debatte um die Landesverteidigung findet aber vor einer komplett anderen Ausgangslage statt. Das österreichische Bundesheer (ÖBH) ist schon heute kaum mehr ein militärischer Faktor. Das jährliche Budget liegt bei 2,5 Milliarden Euro. Das ist etwa die Hälfte der finanziellen Mittel, die der Schweizer Armee zur Verfügung stehen. Den Luftraum kann Österreich mit seinen 15 Eurofightern bloss überwachen, also knapp den Luftpolizeidienst in normalen Lagen sicherstellen und etwas Präsenz markieren. Mehr liegt nicht drin. Ältere Saab-Jets werden nicht ersetzt.
Imperativ der Wahrscheinlichkeit
Das Bundesheer hat traditionellerweise einen schweren Stand in der österreichischen Politik. Im Staatsvertrag von 1955, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Souveränität des Landes wiederherstellte, limitierten die Siegermächte die militärischen Möglichkeiten des Landes bis in die 1990er Jahre. Der damalige Aussenminister umriss das Ambitionsniveau mit dem Ausspruch, das neutrale Österreich brauche eine Armee, «die an den Grenzen im Ernstfall mindestens fünf Schuss abfeuern wird».
Doch jetzt hat Österreich die Landesverteidigung wiederentdeckt –mindestens die Opposition. Wegen ihrer Aussagen über weitere Abbaupläne donnern der Verteidigungsministerin Klaudia Tanner gegenwärtig auf allen Kanälen harte Worte des Widerstands entgegen.
Allen voran gehen die Offiziere auf die medialen Barrikaden. Sie befürchten eine Umwandlung des Bundesheers in einen besseren Zivilschutz und halten dies aus militärischer Sicht schlicht für unverantwortlich. Auch zwei Vorgänger Tanners – notabene aus den entgegengesetzten politischen Lagern – haben sich protestierend an die Öffentlichkeit gewandt.
Dabei verfolgt die Verteidigungsministerin bloss die Linie der Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das Programm seiner türkis-grünen Koalition will «neue Aufgaben mit neuen Strukturen» für das Bundesheer. Die Kernkompetenzen sollten weiterentwickelt werden, heisst es dort zwar. Höchste Handlungsrichtlinie dafür ist aber die «Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeiten von Bedrohungsszenarien». Das heisst auf den Punkt gebracht: Das Bundesheer wird darauf ausgerichtet, was heute und morgen passieren kann, aber weit weniger gefährlich ist als ein bewaffneter Konflikt, der sich vielleicht erst übermorgen abzeichnet.